Zuverlässigkeit von Augenzeugenberichten

Die Frage nach der Zuverlässigkeit von Augenzeugenberichten ist bei den sogenannten außergewöhnlichen menschlichen Erfahrungen, also Ereignisse, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht, bzw. Teil der Erfahrung und die wesentliche Datenquelle ist, ein zentraler Faktor in der Beurteilung des Ereignisses. Zu diesen Erfahrungen zählen u.a. UFO-Sichtungen, Spuk-Phänomene, oder Begegnungen mit unbekannten Wesen (Kryptozoologie). Nach Meinung kritischer Forscher wird die Zuverlässigkeit oftmals jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, sondern bevorzugt auf den vermeintlichen Kern des Ereignisses fokussiert. Beim UFO-Phänomen also die Frage nach der Natur oder Herkunft der beobachteten Objekte, anstatt die geschilderte Beobachtung der Zeugen nach dessen Zuverlässigkeit bzw. Fehlerquellen zu hinterfragen und dies bei der Frage nach der Natur des beobachteten Gegenstands einzubeziehen. Dabei gibt es in der Psychologie, maßgeblich in der forensischen Zeugen- und Aussagepsychologie, mittlerweile einen breiten Kenntnisstand zu diesem Thema.

Ein Aspekt dabei ist die Wahrnehmung und Interpretation durch den Beobachter. Häufig unterstellt man Beobachtern, die in ihrem beruflichen Umfeld außergewöhnliche Beobachtungen machen, eine besondere Kompetenz in der Beurteilung dessen, was sie sehen. Im UFO-Phänomen spricht man bspw. Piloten eine solche Kompetenz zu (siehe dazu unseren Beitrag "Warum Piloten UFOs sehen"). Ebenso gilt das in der Kryptozoologie bspw. für Jäger oder ähnliche Berufsgruppen, die regelmäßig in der Natur unterwegs sind und so eine besondere Kompetenz bei der Unterscheidung zu bekannten Wildtieren unterstellt wird.

Unser Kollege Ulrich Magin, Forteaner und Autor, hat zu diesem Thema einen interessanten, kleinen Beitrag verfasst, der einen Test zu diesem Thema beinhaltet.

Zur Zuverlässigkeit von Augenzeugenberichten - Ein kleiner Test
von Ulrich Magin

Gerade jenen, denen man besondere Kompetenz zugesteht – in der Kryptozoologie z.B. Menschen, die viel Zeit in der Natur und mit Tieren verbringen – machen oft genug gröbste und tragische Fehler bei ihrer Wahrnehmung und deren Einschätzung. Das sehen Verfechter der Realität von unbekannten Tieren natürlich nicht so.

„Aufgrund seiner großen Vertrautheit mit Bären hält [Dr. Lynn Rogers] die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bär für einen Sasquatch gehalten wird, für gegeben, allerdings für sehr unwahrscheinlich bei einem informieren Beobachter. [Zudem haben] Bären physische Eigenschaften, die sie deutlich von der typischen Beschreibung eines Sasquatch unterscheiden“, schreibt Jeffrey Meldrum in seinem Buch „Sasquatch: Legend Meets Science“. (Meldrum, S. 204)

Ähnlich es liest man oft über Piloten, Meteorologen und Astronomen und ihre Sichtungen von UFOs. Bei Bigfoot nehme ich als gegeben an, dass ein Jäger mit Jagdschein, der oft im Ansitz auf Beute wartete, als „informierter Beobachter“ gelten darf. Wie gut kann ein solcher „Experte“ einen Menschen von einem Wildschwein unterscheiden (deren Form deutlich verschiedener ist wie die von Sasquatch und Bär)?

Es gibt einen einfachen Zuverlässigkeitstest: Man muss bei Google-News folgende Schlagworte eingeben: Jäger, verwechselt, schießt. Ich habe das Ende 2019 getan. Und es zeigte sich – mit verstörender Häufigkeit schießen erfahrene Jäger auf Jagdhelfer oder Spaziergänger, weil sie sie für ein Wildschwein gehalten haben oder auf Pferde, weil sie dachten, das seien Rehe. Es ist dasselbe Klientel, dem ein Kryptozoologe eigentlich zutrauen würde, einen Affenmenschen von einem Bären, ein UFO-Forscher, ein UFO von einem Stern zu unterschieden.

Nun zu den Fällen, damit sich jeder selbst ein Bild über die Häufigkeit solcher Verwechslungen machen kann.

September 2012, Oberfranken
Jagdunfall in Bayern: Mit Wildschwein verwechselt – Jäger erschießt Mann. (https://www.welt.de, 10.09.2012; https://www.sueddeutsche.de, 09.09.2012)

10. Oktober 2014, Nittendorf im Landkreis Regensburg, Bayern
Ein Jäger hat in Bayern einen Waidgenossen angeschossen – weil er ihn offenbar für ein Tier hielt. … Ein 19-jähriger Jäger schießt bei Fuchsjagd irrtümlich auf 73-Jährigen. (https://www.proplanta.de, 12.10.2014; https://www.rtl.de, 12.10.2014; https://www.wochenblatt.de, 11.10.2014)

September 2015, Brandenburg
Tragische Verwechslung: Jäger erschießt Mann – Jäger schießt auf Liebespaar und tötet Mann. (https://www.goettinger-tageblatt.de, 10.09.2015)

November 2015, Regensburg, Bayern
Ein Jäger glaubte, auf ein Wildschwein zu schießen – tatsächlich war es aber ein Mann. … Bewährungsstrafe ... (https://www.merkur.de, 12.11.2015)

31. Januar 2016, Mönchengladbach, NRW
„31.1.16: Jäger schießt Jäger auf Fuchsjagd an. In Mönchengladbach wurde ein 73-jähriger Jäger von einem 19-jährigen Jagdkollegen angeschossen und schwer verletzt. Dies berichtet die Rheinische Post online am 31.1.2016. Demnach hatten einige Jäger am Sonntagvormittag in einem Feld einen Heuballen umstellt, um einen Fuchs zu schießen. Dabei habe der Jungjäger offenbar zu früh geschossen und aus Versehen den Jagdkollegen getroffen.“ (https://www.tierschutzpartei.de, 06.01.2017)

Januar 2017
Mann mit Wildschwein verwechselt – Drei Jahre Haft für Jäger ... in der Dämmerung auf ein vermeintliches Wildschwein schießen wollen. (https://www.morgenpost.de, 23.01.2017)

Oktober 2018
Der Jäger hat den Radfahrer trotz seines bunten Helms mit einem Tier verwechselt ... Er glaubte, auf ein schnelles Tier zu schießen. (n-tv.de, 15.10.2018 )

November 2018, Frankreich
–„Jäger haben in Frankreich auf zwei Surfer geschossen. Sie sagen, sie hätten sie ‚mit Fasanen verwechselt‘.“ (https://www.deutschlandfunknova.de, 15.11.2018)

22. Januar 2019, Sachsen-Anhalt
„Jäger statt Reh getroffen. Bei einer Drückjagd in Sachsen-Anhalt wurde ein Jäger am Oberkörper getroffen und verletzt. Ein Jagdkollege hatte auf ein Reh geschossen. (Mitteldeutsche Zeitung, 22.1.2019, nach https://www.peta.de)

17. August 2019, Weiskirchen, Saarland
„Jäger trifft aus Versehen Pferd. Ein Islandpferd wurde auf einer Koppel in Weiskirchen (Saarland) bei einer Jagd aus Versehen angeschossen und so schwer verletzt, dass es eingeschläfert werden musste.“ (Breaking News Saarland, 17.8.2019, nach https://www.abschaffung-der-jagd.de/menschenalsjaegeropfer/)

18. August 2019, Eifel
„82-jähriger Jäger trifft 76-Jährigen. Jagdunfall in der Eifel: Ein 82-jähriger Jäger hat einen 76-jährigen Jagdkollegen aus Versehen angeschossen und schwer verletzt.“ (Kölnische Rundschau, 18.8.2019, nach https://www.abschaffung-der-jagd.de/menschenalsjaegeropfer/)

2. September 2019, Blankenheim, NRW
„NRW: Mit Wildschwein verwechselt – Jäger schiesst Fohlen.“ „In Nordrhein-Westfalen hat ein Jäger ein Fohlen erschossen. Die Besitzerin fand das Fohlen am Morgen tot auf einer Weide in Blankenheim – nur etwa 70 Meter von einem Hochsitz entfernt. Gegenüber der Polizei sagte der Jäger, dass er auf ein Wildschwein geschossen habe.“ (https://www.jawina.de, 02.09.2019; Radio RPR1, 02.09.2019)

September 2019, Brandenburg
„Jäger verwechselt Liebespaar mit Wild – Mann tot. Ein Jäger hat in Brandenburg einen Mann getötet und eine Frau schwer verletzt. Das Liebespaar wurde in einem Maisfeld mit einem Wild verwechselt.“ (https://www.nrz.de, 11.09.2015)

19. September 2019, Baden-Württemberg
„Kugel trifft Bauern statt Wildschwein. Bei der Maisernte im schwäbischen in Gündelbach saßen ein 25-jähriger Landwirt und eine 18-jährige Erntehelferin auf dem Traktor, als zwei Jäger auf ein Wildschwein schossen. Eine Kugel durchschlug die Scheibe des Traktors. Der junge Mann wurde in den Unterschenkel getroffen und mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus geflogen. Die 18-Jährige wurde durch Glassplitter verletzt.“ (Stuttgarter Zeitung, 17.09.2019, nach https://www.abschaffung-der-jagd.de/menschenalsjaegeropfer/)

September 2019. Italien
„Italien: Jäger will auf Wildschwein schießen – und tötet seinen Vater.“ In Italien hat ein Jäger seinen eigenen Vater mit einem Wildschwein verwechselt und erschossen. (https://www.derwesten.de , 25.09.2019)

4. Oktober 2019, Heidekreis, Niedersachsen
„Jäger erschießt Pferd statt Wildschwein. Ein 65-jähriger Jäger hat ein Islandpferd auf einer Weide im niedersächsischen Heidekreis erschossen, weil er es mit einem Wildschwein verwechselt hat. Es sei es zu diesem Zeitpunkt fast dunkel gewesen. ‚Was, wenn dort ein Mensch gestanden hätte?‘, fragt der Pferdehalter.“ (Hannoversche Allgemeine, 04.10.2019, nach https://www.abschaffung-der-jagd.de/menschenalsjaegeropfer/)

Oktober 2019, Lützkampen, Eifelkreis Bitburg-Prüm, Rheinland-Pfalz
„Jagdunfall: Mann schießt in Lützkampen auf Pferd. Ein Jäger hat in Lützkampen ein Pferd angeschossen. Er hat das Pferd mit einem Wildschwein verwechselt.“ (https://www.volksfreund.de, 15.10.2019)

3. November 2019, Heidekreis
„Im Heidekreis wurde ein Jogger im Wald auf einem öffentlich zugänglichen Weg angeschossen und am Bein verletzt. Ein Jäger hatte mit einer Schrotflinte auf ihn geschossen – es fand gerade eine Treibjagd statt.“ (Hannoversche Allgemeine, 03.11.2019, nach https://www.abschaffung-der-jagd.de/menschenalsjaegeropfer/)

Mindestens neun Jagdunfälle in Deutschland im Jahr 2019 mit groben Beobachtungs- und Wahrnehmungsfehlern. Eigens ausgebildete Menschen – schließlich hat jeder Jäger eine Jagdprüfung zu absolvieren – waren sich ihrer Sache so sicher, dass sie schossen. Und doch hatten sie Surfer mit einem Fasan, einen Radfahrer mit buntem Helm mit einem „schnellen Tier“ verwechselt. Legt man diese Maßstäbe an UFOs an, wären auch ein Dutzend „Best UFOs“, sogar Nahe Begegnungen, im Jahr immer also noch im Bereich dessen, was wir als Fehlleistungen bei ehrlichen und kompetenten Menschen erwarten können.

Übrigens: Mit den Stichworten Pilot und verwechselt kommt man auf ähnlich spannende Geschichten – Piloten, die statt nach München nach Edinburgh fliegen, die auf dem Airbus-Gelände statt auf dem Hamburger Airport landen usw. Es verwundert immer wieder, wenn von Forschern, die an reale UFOs oder Bigfoots glauben, damit argumentiert wird, dass die Geschichte von einem erfahrenen Zeugen gemeldet wurde. Erfahrung schützt vor Irrtum nicht. Dass sie sich auf Zeugenaussagen verlässt, ist einer der Gründe, warum die UFO-Forschung feststeckt, wenn sie ein Phänomen packen will, das eben eine Folge unserer Wahrnehmung und nicht von exotischen Objekten in Raum und Zeit sein kann. BEST UFOs zu vergleichen wäre dann, als wolle man ein Wildschwein beschreiben, indem man die angeschossenen Pferde, Jagdhelfer und Jogger vergleicht.

Literatur
Meldrum, Jeffrey: Sasquatch: Legend Meets Science. Forge Books: New York 2006
Netzwerk Kryptozoologie

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Soweit der Beitrag von Ulrich Magin. Ergänzend möchten wir hierzu noch auf das psychologische Phänomen der Bahnung (engl. Priming) hinweisen, das hier auch eine Rolle spielt. Es wurde in der Bigfoot-Dokumentation von ZDF History als Ursache für fehlerhafte Wahrnehmungen bzw. Interpretationen beschrieben. Demnach wird die Verarbeitung eines Reizes (also die Wahrnehmung) mit vorhandenen Assoziationen, durch Vorerfahrungen oder Erwartungen, beeinflusst, was zu falschen Interpretationen führen kann. Priming beeinflusst so unser Denken und Handeln[1]. In der genannten Dokumentation führte dies dazu, dass die Beobachter im Wald einen Bigfoot „erkannten“ und beschrieben, obwohl DNS-Analysen von den Zeugen dort sichergestellten Haaren auf bekannte Wildtiere zurückgeführt werden konnten. Auch in der UFO-Forschung halten wir dieses Phänomen zumindest in manchen (ungeklärten) Fällen für relevant. Eine Diskussion dazu findet bislang jedoch noch nicht statt.

[1] https://lexikon.stangl.eu/1378/priming/

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